Sich siezende Eheleute

Von 1998-2001 wurde Juliane Sievert im Lette Verein Berlin zur staatlich geprüften Modedesignerin ausgebildet. Seitdem geht es für Sie auf der Erfolgskurve immer weiter nach Oben. Dank eines vom Berliner Senat geförderten und vom Lette Verein Berlin unterstützten Auslandsprogramms ist sie nun eine Quasi-Französin. In Lyon betreibt sie ihren Laden „Boutique XIX“ und ihr eigenes Label POLYLOOX.

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Wie bist Du zum Lette Verein Berlin gekommen?

Der Infotag hat mich angelockt. Da ich früh wusste, dass der Lette Verein Berlin sehr berufsnah ausbildet, gab es für mich nur diese Option. Ein weiterer Ausschlag war, dass die Ausbildung drei Jahre dauert und nicht fünf, wie an manch anderen Ausbildungseinrichtungen.

Was macht die Ausbildung im Lette Verein Berlin aus?

Sie ist sehr berufsnah und bodenständig. Ich möchte, dass die Sachen einen schönen Schnitt haben und aus einem angenehmen, schönen Material sind. Die Leute sollen sie auf der Straße tragen können. Und oft habe ich das Glück, dass ich jemanden mit meinen Sachen sehe. Das ist für mich immer sehr bereichernd.

Wie bist Du zu diesem Laden in der Lyoner Altstadt gekommen?

Ich habe nach der Ausbildung das Europäische Jahr gemacht. Davon waren zwei Monate Sprachtraining. Lyon war für mich ideal, weil es nicht so teuer war, wie Paris und ich war sehr an der Verarbeitung von Seide interessiert. Lyon ist DIE Seidenstadt. Ich habe dann im „Atelier de Soierie“ ein Praktikum gemacht. Dort lernte ich Siebdruck auf Seide und das Bemalen von Pannesamt mit der Hand.

Das war Dir dann irgendwann nicht mehr genug.

Irgendwann hat es mich gedrängt, selbst Bekleidung zu machen. Dann bin ich eines Tages an meinem heutigen Laden vorbei spaziert und habe gefragt, ob ich hier ein Praktikum machen könnte. Zeitgleich wurde in dem Laden eine Verkäuferin gesucht. Das habe ich dann zehn Jahre lang gemacht. Hauptsächlich habe ich die Maßanfertigungen und Erstmodelle genäht und mich gleichzeitig um die Kundschaft gekümmert. Irgendwann bekam der Chef gesundheitliche Probleme. So habe ich eineinhalb Jahre lang für ihn den Zuschnitt gemacht und dann hat er mich gefragt, ob ich den Laden gern übernehmen möchte.

Du hast sofort „Ja“ gesagt.

Wenn man in Frankreich einen Laden übernimmt, zahlt man eine hohe Ablöse. Da bewegt man sich im fünfstelligen Bereich. So konnte ich den Mietvertrag übernehmen, wie er ist. Und das ist mein Glück: Der Laden existiert seit 32 Jahren und ich konnte die Kunden mit übernehmen. Diese sind übrigens sehr treu und speziell: in Lyon wird gern und groß geheiratet. Da lassen sich ganze Gesellschaften ausstatten. Das ist hier sehr anders, als in Berlin: manche Eheleute siezen sich noch ganz vornehm.

Wie macht man das mit so einem Vertrag?

Da muss man mit einem Businessplan zur Bank gehen. Die Bank fand meine Ideen gut und so konnte ich 2012 den Laden übernehmen. Die Formalitäten sind nicht so kompliziert. Man bekommt von allen offiziellen Stellen verständliche und gute Unterstützung. Nebenbei habe ich noch mein Minilabel POLYLOOX. Gegenüber meinem Laden ist die Bibliothek der Modeuniversität und auch das Stoffmuseum. Ich konnte dort im Uniladen meine eigenen Sachen und später auch noch in Nizza, Toulouse und Berlin verkaufen. Auch hier in dem Laden, da sie ganz gut zu dem „XIX-Look“ passen.

Wie läuft der Laden?

Wenn ich nicht die Bank bezahlen müsste, könnte ich mir ein Gehalt zahlen, aber das ist auch bald erledigt. Immerhin kann ich mir eine Angestellte leisten.

Geeignete Mitarbeiter in Frankreich finden. Wie schwer ist das?

In Frankreich ist eine klassische Berufsausbildung im Modebereich nur zwei Jahre lang. Da mangelt es dann an Fachkompetenz, wie man etwas zusammennäht. In Frankreich wird Wert darauf gelegt, dass man weiß, wie man einen Fertigungsplan erstellt. Das führt dazu, dass wenn die fertigen Modedesigner ein zugeschnittenes Teil in die Hand gedrückt bekommen, sie nicht wissen, wie sie damit umgehen müssen. Sie benötigen die Anleitung dazu.Ist doch ganz einfach: Man näht von oben nach unten, erst die kleinen Teile und dann das Große. Schneidern und Nähen sind logische, ineinander greifende Handlungen. Das lernt man unter anderem im Lette Verein!

Wie lebt es sich als gebürtige Berlinerin in Lyon?

Das Leben ist hier etwa ein Drittel teurer, als in Berlin, aber auf jeden Fall billiger, als in Paris. Was Freundschaften betrifft, dauert es seine Zeit. Lyoner sind sehr verschlossen. Ich bin jetzt seit knapp 14 Jahren in Lyon und habe hier meinen Freund, mein Kind und meine Freunde. Ich fühle mich hier sehr wohl.

 

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